Die Kieferumstellungsoperation

Der folgende Abschnitt fasst die wichtigsten Informationen bezüglich der Operation zusammen; über die Vorbereitung auf den Eingriff, den Eingriff selbst, die Risiken, die Konsequenzen beinhaltend Vor- und Nachteile der Operation sowie der Genesung und über die Schritte nach der Operation, sowie zur Kostendeckung.


Kieferfehlstellungen

1 – Was versteht man unter einer Kieferfehlstellung und wie wird diese behandelt?

Ist der Kiefer bezüglich Grösse, Lage und Zahnstellung «normal», bezeichnet man ihn als
eugnath (normale Funktion des Kausystems). Gibt es Unstimmigkeiten beziehungsweise Abweichungen der Zähne oder des Kiefers, spricht man von einer Dysgnathie.
Bei den Dysgnathien, also Kieferfehlstellungen, unterscheidet man verschiedene Formen, auf welche ich in Kapitel 1.3 näher eingehen werde.
Im Idealfall lassen sich Kieferfehlstellungen mit einer kieferorthopädischen Behandlung korrigieren.
Es gibt aber auch ausgeprägte Dysgnathien. Diese beeinträchtigen nicht nur das Aussehen, sondern auch das Wohlbefinden und den Gesundheitszustand des sogenannten craniomandibulären Systems. Das craniomandibuläre System umfasst den Kiefer, die Kiefergelenke und die Kau- und Gesichtsmuskulatur. Es kann also der Einfachheit als «Kausystem» bezeichnet werden.
Eine ausgeprägte Dysgnathie, welche sich nicht alleine durch kieferorthopädische Behandlungsmassahmen zufriedenstellend therapieren lässt, kann mit einer operativen Umstellung eines oder beider Kiefer (Ober- und/oder Unterkiefer) behandelt werden.
Mit einem operativen Eingriff will man nicht nur die Funktion des Kausystems optimieren, sondern auch ein «harmonisches Äusseres» erzielen und somit die Lebensqualität der Patienten verbessern.[1] Mehr dazu im Kapitel «Kieferumstellungsoperation».

1.1 – Ursachen für eine Kieferfehlstellung [2]

Es gibt verschiedene Ursachen für eine Kieferfehlstellung (Dysgnathie), darunter Erkrankungen oder Fehlbildungssyndrome wie zum Beispiel:

1.1.1 – Das Pfeiffer-Syndrom
Beim Pfeiffer-Syndrom handelt es sich um eine seltene, vererbbare Krankheit.
Sie gehört zu den sogenannten kraniofazialen Fehlbildungen. Zu deren Merkmalen gehören ein kurzer Schädel, ein flacher Hinterkopf, ein grosser Augenabstand etc.

1.1.2 – Das Crouzon-Syndrom
Ein Syndrom, bei dem Fehlbildungen des knöchernen Schädels auftreten.

1.1.3 – Das Goldenhar-Syndrom
Dabei handelt es sich um eine angeborene Fehlbildung, welche meist nur eine Seite des Gesichts betrifft. Merkmale des Goldenhar-Syndroms sind eine Ohrmuschelfehlbildung, ein zur erkrankten Seite verschobenes Kinn, ein einseitig höherstehender Mundwinkel oder eine Fehlbildung oder das gar ganze Fehlen eines Auges.

1.1.4 – Die Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte (LKG-Spalte)

1.1.5 – Weitere Ursachen
Abgesehen von den Fehlbildungen und den Erkrankungen kann eine Dysgnathie auch durch sich «entwickelnde» Ursachen entstehen. Dazu zählt man unter anderem ein frühzeitiger Milchzahnverlust (z.B. durch Karies), sogenannte Habits (schädliche Gewohnheiten wie z. B. Daumenlutschen), die Mundatmung, Lippendysfunktionen oder Verletzungen (z. B. Kieferfrakturen).[3]

1.2 – Arten von Kieferfehlstellungen

Die Fehlerachsen der Kiefer können in der Transversalen (Breite des Kiefers), in der Sagittalen (Vor- oder Rücklage des Kiefers/zu weit vor oder zurück) oder in der Vertikalen (zu hoch oder zu tief) vorhanden sein. Auch kombinierte Fehlstellungen sind möglich.
Die häufigsten Formen von Kieferfehlstellungen sind die Oberkieferrücklage, die Unterkieferrücklage und die Gesichtsasymmetrie. Sie alle betreffen (primär) die sagittale Achse.

Ansicht der Fehlerachsen der Kiefer: transversal (Breite des Kiefers), sagittal (zu weit vor oder zurück) vertikal (zu hoch oder zu tief)
Die Oberkieferrücklage wie auch die Unterkieferrücklage betreffen die sagittale Achse.
Bildquelle: shutterstock

1.3. – Merkmale der häufigsten Kieferfehlstellungen [4]

1.3.1 – Merkmale der Oberkieferrücklage
Die Oberkieferrücklage gehört zu den häufigsten Dysgnathieformen. Man spricht auch von Progenie (”genio” lat.= Kinn), weil der Unterkiefer in Relation zu weit vorsteht.
Das eigentliche Problem ist aber ein zurückliegender Oberkiefer, welchen man als maxilläre Retrognathie, auch falsche Progenie oder Opisthognathie, bezeichnet. Der verkürzte Oberkiefer wird dabei vom normal entwickelten Unterkiefer überragt. Dies nennt man dann auch Unterbiss.
Optisches Merkmal der Oberkieferrücklage ist zudem eine Abflachung des Mittelgesichts in Form einer sehr schmalen Oberlippe, welche hinter der Unterlippe steht.
Auf Grund des vernarbten Gewebes sowie myofunktionellen Dysbalancen, welche das Wachstum des Oberkiefers «bremsen» können, liegt bei den meisten LKG-Patienten eine Oberkieferrücklage (maxilläre Retrognathie) vor.
In den folgenden Kapiteln, insbesondere im Kapitel 3, werde ich mich daher v.a. mit der Oberkiefervorverlagerung befassen.

1.3.2 – Merkmale der Unterkieferrücklage
Eine Unterkieferrücklage ist am fliehenden Kinn und der grossen Stufe zwischen Ober- und Unterlippe zu erkennen.
Die Unterkieferrücklage ist die häufigste Dysgnathieform.
Man spricht hier auch von einem Überbiss. Dabei unterscheidet man wiederum zwei Formen:
Bei der maxillären Prognathie handelt es sich um einen im Verhältnis zum Unterkiefer zu grossen Oberkiefer. Ist der Unterkiefer gegenüber dem Oberkiefer zu klein spricht man von einer mandibulären Retrognathie.
Bei beiden Formen haben die oberen Schneidezähne in der sagittalen Ebene zu viel Abstand von den unteren Schneidezähnen.

1.3.3. – Merkmale der Gesichtsasymmetrie
Bei einer Gesichtsasymmetrie ist festzustellen, dass das Gesicht so verformt ist, dass Kinn- und Nasenspitze von der Mittellinie abweichen.
Ursache für die Verformung des Knochengewebes können erblich bedingt oder durch einen Unfall verursacht sein. Man spricht bei der Gesichtsasymmetrie des Kiefers auch von einer Gesichts-Skoliose.

Darstellung der verschiedenen Kieferfehlstellungen: maxilläre Retrognathie, mandibuläre Prognathie, mandibuläre Retrognathie und maxilläre Prognathie
Merkmale der häufigsten Kieferfehlstellungen
Illustration: B. Bachmann, 2022, nach www.infomedizin.de/krankheiten/dysgnathie/
Darstellung der verschiedenen Kieferfehlstellungen: maxilläre Retrognathie, mandibuläre Prognathie, mandibuläre Retrognathie und maxilläre Prognathie
Merkmale der häufigsten Kieferfehlstellungen
Illustration: B. Bachmann, 2022, nach www.infomedizin.de/krankheiten/dysgnathie/

1.4 – Beschwerden bei Kieferfehlstellungen

1.4.1 – Beschwerden bei Oberkieferrücklage
Menschen, die von einer Oberkieferrücklage betroffen sind, haben fast immer Probleme mit der Nasenatmung. Ausserdem können sie unter chronischen Nebenhöhlenentzündungen und nächtlichem Schnarchen leiden. In manchen Fällen bietet der Oberkiefer auch zu wenig Platz für die Zunge, was zu Zungenfehlstellungen führen kann.
Auch beim Kauen haben Betroffene Probleme, denn durch den umgekehrten Überbiss ist das Abbeissen und Kauen, manchmal auch das Sprechen, schwierig. Es kommt auch häufig zu einer Überbelastung einzelner Zähne, der Kaumuskulatur und/oder des Kiefergelenks.

1.4.2 – Beschwerden bei Unterkieferrücklage
Zu den Beschwerden einer Unterkieferrücklage gehören Kiefergelenksbeschwerden, Schmerzen im Kieferbereich, Kieferknacken, sowie (teils migräneartige) Kopf- und Nackenschmerzen.

1.4.3 – Beschwerden bei Gesichtsasymmetrie
Bei einer Gesichtsasymmetrie kommt es häufig zu starken Fehlstellungen. Funktionsstörungen von den Kiefergelenken bis hin zur Wirbelsäule sind ebenfalls typisch.
Die Asymmetrie wird zudem oft als ästhetische Beeinträchtigung empfunden.


Die Kieferumstellungsoperation

1 – Wann und wieso ist eine Kieferumstellungsoperation notwendig? [5]

Eine Kieferumstellungsoperation wird dann in Erwägung gezogen, wenn eine Kieferfehlstellung vorliegt, welche nicht durch eine rein kieferorthopädische Behandlung korrigiert werden kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Kiefervorlage, eine Kieferrücklage oder eine Gesichtsasymmetrie handelt.
Bei einer Kieferumstellungsoperation werden die Kiefer in die richtige Stellung gebracht. Die durch die Fehlstellung entstandenen Beschwerden werden dadurch gelindert. Auch ästhetische Makel können durch eine Kieferumstellungsoperation behoben bzw. verbessert werden.

1.1 – Die Kieferumstellungsoperation kurz erklärt.

Eine Kieferumstellungsoperation kann auf verschiedene Weise durchgeführt werden. Manchmal muss nur der Ober- oder Unterkiefer bewegt werden. Manchmal wird der Oberkiefer nach vorne und der Unterkiefer nach hinten bewegt, sodass sich die Zähne in einer mittleren Position treffen. Die beiden Kiefer können zur gleichen Zeit oder zu unterschiedlichen Zeiten bewegt werden. Sobald die Kieferteile in Position gebracht sind, werden sie durch winzige Metallplatten und Schrauben fixiert.
Die Operation selbst wird unter Vollnarkose durchgeführt. Da der Eingriff im Mund stattfindet, bleiben keine sichtbaren Narben auf der Haut zurück. Die Operation wird in der Regel erst nach Abschluss des Wachstums durchgeführt, d. h. ab einem Alter von etwa 18 bis 20 Jahren.

1.2 – Die verschiedenen Varianten und Operationstechniken der Kiefer-Osteotomie

Je nach Form der Kieferfehlstellung werden bei der Kieferumstellungsoperation verschiedenen Techniken angewendet, welche ich hier in Form einer Übersicht kurz vorstellen möchte.
Auf die Oberkiefervorverlagerung werde ich – als eigentliches Thema meiner Maturaarbeit – später im Detail eingehen. Alle anderen sind hier nur aufgelistet, da eine detaillierte Betrachtung den Rahmen meiner MA sprengen würde.
Auf der Webseite der British Orthodontic Society (BOS) gibt es zu allen Techniken hilfreiche und sehr übersichtliche Erklärvideos zu sehen:
https://www.bos.org.uk/BOS-Homepage/Your-Jaw-Surgery/Your-Surgery-Explained

1.2.1 – Techniken der Oberkiefer-Osteotomie

  • Oberkiefervorverlagerungs-Osteotomie bei maxillärer Retrognathie (z.B. bei LKG)
    Top Jaw Forwards (Maxillary Advancement)
    > Das Video zeigt den in Kapitel 3 beschriebenen Operationsprozess, wobei das Entfernen der Platten hier anders gehandhabt wird.  
  • Oberkieferchirurgie bei sogenanntem Gummy Smile (Chirurgische Gummy-Smile-Korrektur)
    Top Jaw Upwards (Maxillary Impaction for Gummy Smile)
  • Oberkieferchirurgie bei offenem Biss
    Top Jaw Surgery for Open Bite (Maxillary Impaction)
  • Oberkieferchirurgie (segmentiert) bei offenem Biss
    Top Jaw (Segmental) Surgery for Open Bite (Maxillary Segmental) 
  • Chirurgische Gaumennahterweiterung
    Top Jaw Widening (SARPE)

1.2.2 – Techniken der Unterkiefer-Osteotomie

  • Unterkiefervorverlagerung bei mandibulärer Retrognathie (Überbiss)
    Lower Jaw Forwards (Mandibular Advancement)
  • Unterkiefervorverlagerung und Kinnkorrektur (Genioplastik)
    Lower Jaw & Chin Forwards (Mandibular Advancement & Genioplasty)
  • Unterkieferrückverlagerung bei Progenie (Unterbiss)
    Lower Jaw Backwards (Mandibular Setback)

1.2.3 – Techniken der Bimaxillären Osteotomie (Kombinierte Ober- und Unterkieferchirurgie)

  • Kombinierte Oberkiefervorverlagerung mit Unterkieferrückverlagerung
    Top Jaw Forwards, Lower Jaw Backwards (Maxillary Advancement with Mandibular Setback)
  • Bimaxilläre Osteotomie bei offenem Biss
    Double Jaw Surgery for Open Bite (Bimaxillary Osteotomy for Open Bite)

1.2.4 – Weitere Techniken bei Gesichtsasymmetrien

  • Unterkieferchirurgie (Unterkieferosteotomie bei Asymmetrie)
    Lower Jaw surgery (Mandibular Osteotomy for Asymmetry)           
  • Bimax-Osteotomie bei Asymmetrie
    Double Jaw Surgery (Bimax Osteotomy for Asymmetry)
  • Kinnkorrektur (Genioplastik)
    Chin Surgery (Genioplasty)

2 – Vor der Kieferumstellungsoperation [6]

2.1. – Die kieferorthopädische Vorbereitung

Vor der Operation ist eine kieferorthopädische Behandlung notwendig. Diese hat das Ziel eine harmonische Okklusion, also das Passen der Zähne zueinander, sowie die Harmonisierung des Gesichtsprofils zu kreieren. Bei der Planung der Operation bzw. der vorausgehenden Behandlunsgschritte sollten der Kieferorthopäde und der Kieferchirurg eng zusammenarbeiten. Das heisst die beiden sprechen sich ab, in welche Position die Zähne gebracht werden sollen, damit der Chirurg den Eingriff in der für die Umstellung geeigneten Technik ausführen kann.
Mit Hilfe einer Multibandapparatur, einer auf den Zähnen festsitzenden Zahnspange mit integriertem Drahtbogen, werden die Zähne in die gewünschte Position gebracht. Das Einstellen der Zähne kann Monate und manchmal sogar Jahre dauern. Meist beginnt man die kieferorthopädische Behandlung ja mit dem Ziel, eine Operation vermeiden zu können.
Stellt sich dann heraus, dass die Dysgnathie zu ausgeprägt und nicht allein durch kieferorthopädische Massnahmen zu beheben ist, muss die kieferorthopädische Behandlung im Hinblick auf die anstehende Kieferumstellungsoperation angepasst werden.
Dabei kann es vorkommen, dass die Zähne in Positionen verschoben werden müssen, in denen sie weniger gut zusammenpassen als zu Beginn der Behandlung. Man macht dies deshalb, weil der Fokus beim Planen der Zahnbögen auf dem postoperativen Resultat liegt, also bei der Situation nach der Operation. Dann nämlich sollen die Zahnreihen perfekt aufeinander passen.
Das Zusammenpassen der Zähne sowie ein möglichst vollständiger und «sauberer» Zahnbogen sind wichtig, damit bei der Operation zwei vollendete Zahnbögen aufeinander abgestimmt werden können und die richtige Verschiebung des Kiefers vereinfacht wird.
Betrifft der geplante Eingriff den Unterkiefer, müssen mindestens drei Monate vor der Operation die Weisheitszähne entfernt werden, da sie sich im Operationsbereich der Kieferumstellungsoperation befinden.

2.2 – Die Operationsplanung durch den Kieferchirurgen

Dem operativen Eingriff geht eine umfangreiche Vorbereitung voraus.
Wie bei vielen anderen Operationen sind zuvor einige klinische Untersuchungen notwendig. Es werden Röntgenaufnahmen angefertigt, Abdrücke genommen und eine Computertomographie erstellt. Eine Computertomographie ist ein modernes bildgebendes Verfahren, das präzise dreidimensionale Röntgenschnittbilder von Schädel und Kiefer liefert. Damit kann man die Operation sehr präzise planen. Zudem werden Fotos gemacht. Mit einem zusätzlichen intraoralen Scan lässt sich der Kiefer dreidimensional und detailgetreu darstellen.
Mithilfe eines speziellen Programms und den verschiedenen Unterlagen aus den genannten Verfahren kann man nun die Zähne im Oberkiefer im Computer so weit verschieben, bis man sieht, dass diese gut zusammenpassen. Dann rechnet der Computer auch die Oberfläche aus, vor allem die Oberlippe und die Verschiebung der Nasenflügel. Der Computer kann so das Aussehen nach der Operation simulieren. Bei der Operation wandert der untere Nasensteg und damit auch die Nasenspitze nach oben. Auch solche Verschiebungen kann das simulierte Bild berücksichtigen. Gemäss Aussage von Herrn Müller ist das Resultat in der Realität aber meistens sogar besser als die Simulation auf dem Computer, denn auf dem Computer ist das Gesicht weniger natürlich.


3 – Die Kieferumstellungsoperation am Beispiel der
Oberkiefervorverlagerungs-Osteotomie

Wie in Kapitel 1.2 erläutert, gibt es verschiedenste Techniken, welche bei einer Kieferumstellungsosteotomie angewendet werden können.
In meiner Arbeit möchte ich nur eine davon genauer vorstellen. Es ist dies die Oberkiefervorverlagerungs-Osteotomie, welche bei mir zur Korrektur meiner spaltbedingten Oberkieferrücklage (maxilläre Retrognathie) vorgenommen werden soll.
Die nachstehenden Schilderungen beziehen sich also ausschliesslich auf eine Oberkiefervorverlagerungs-Operation, wie sie am Universitätsspital Basel durchgeführt wird. (Anmerkung: Die beschriebene Operationstechnik wird auch an anderen Orten angewendet. Details in der Planung und Ausführung können aber von Klinik zu Klinik variieren.)

Bei der Oberkiefervorverlagerungs-Osteotomie wird der Oberkiefer unterhalb der Nase und oberhalb der Zahnwurzeln durchtrennt und nach vorne verlagert.
Der Schnitt erfolgt an der Stelle, an der man mit dem Finger innen an der Lippe durchfahren kann. Dort also, wo die Lippe, respektive die innere Auskleidung der Lippe «oben um die Ecke» und dann wieder in Richtung Zahnfleisch herab geht. Diese Stelle bezeichnet man als sogenannte Umschlagsfalte. Der Chirurg schneidet von aussen nach innen. Und zwar etwa vom ersten Backenzahn auf der einen Seite bis zum ersten Backenzahn der anderen Seite. Also einmal entlang der kompletten oberen Zahnreihe, auf der Aussenseite der Zähne.

Um die beiden Kieferteile in die richtige Position zu bringen, verwendet der Chirurg sogenannte Splints oder Schienen. Letztere ist ein Plättchen aus Hartplastik, auf dessen Unterseite es Einkerbungen von den unteren Zähnen und auf der Oberseite Einkerbungen von den oberen Zähnen hat. Und zwar genau in der neuen Position, in der man die Zähne nach der Operation haben will. Nachdem der Chirurg den Oberkiefer durchtrennt hat, steckt er die Schiene auf die untere Zahnreihe. Danach kann er den Oberkiefer so weit nach vorne schieben, bis die oberen Zähne auf der Schiene genau auf die Rillen der oberen Zahnreihe passen. Die Schiene wird also als Schablone verwendet, um die beiden Kieferteile exakt in die gewünschte Position zu bringen.

Sobald die Position stimmt und mittels Schiene fixiert ist, werden die Kiefer durch kleine Metallplatten und Schrauben in Position gehalten. Wie ich im Interview mit Herrn Müller herausfinden konnte, handelt es sich beim Material der Platten um Titan. Die Titanplatten werden unter anderem in der Firma «Medartis» produziert, deren Hauptsitz sich in Basel befindet. Titan bietet sich gut als Material an, da es, verglichen mit anderen Metallen wie beispielsweise Stahl, eher weich und elastisch ist. Eine weitere positive Eigenschaft, die das Material auszeichnet, ist dessen Dehnbarkeit. Mit den Titanplatten kann der Kiefer so fixiert werden, dass eine minime Bewegung des Knochens möglich ist, was sich positiv auf den Heilungsprozess auswirkt.

Sobald der Kiefer fixiert ist, wird die Wunde vernäht, womit die eigentliche Operation abgeschlossen ist.
Für die Naht gibt es die Möglichkeit, Fäden zu nehmen, welche sich nach etwa zwei bis drei Wochen auflösen, oder Fäden, die man nach zehn Tagen entfernen muss.  Welche Fäden verwendet werden, wird vorab mit dem Patienten besprochen. In den meisten Fällen wählen die Patienten Fäden, welche sich von allein lösen.[7]

Darstellung Kieferposition vorher und nachher Kieferoperation
Kieferposition vor und nach der Oberkiefervorverlagerungs-Osteotomie
Illustration: B. Bachmann, 2022
Darstellung Kieferposition vorher und nachher Kieferoperation
Kieferposition vor und nach der Oberkiefervorverlagerungs-Osteotomie
Illustration: B. Bachmann, 2022

4 – Qualitätssicherung

Es sind keine Statistiken erfasst, welche die Häufigkeit von Risiken und Komplikationen im Zusammenhang mit einer Oberkiefervorverlagerungs-Osteotomie dokumentieren. Die nachstehend genannten Komplikationen beruhen demnach auf Beobachtungen und Erfahrungen des Operateurs. Es werden hier Komplikationen angesprochen, von denen ich im Verlaufe meiner Recherche gehört oder gelesen habe. Komplikationen deren Auftreten wahrscheinlicher ist, werden im Kapitel «Risiken» besprochen.

Bezüglich der Stabilität des OP-Resultats beziehungsweise des Verwachsens des Knochens sind die Risiken im Einzelfall schwer abzuschätzen. Faktoren, die bei der Beurteilung in Erwägung gezogen werden müssen und das Risiko senken können, wären nach Angaben von Herrn Müller beispielsweise ein junges Alter des Patienten, eine allgemein gute Gesundheit, Nichtraucher zu sein, sowie eine gute Verheilung des Kiefers in Bezug auf die Spalte (Kieferspaltverschluss).
Alles in allem schätzt Herr Müller das Risiko eines instabilen Operationsresultats jedoch sehr tief ein. In Bezug auf die Verheilung des Knochens würde das Risiko sogar unter etwa 2–3 Prozent liegen.

Die Neupositionierung des Kiefers hat auch keine negativen Auswirkungen auf das Aussehen bestehender Lippennarben. Die Lippe ist nicht Teil des Operationsgebiets und durch die Verschiebung gibt es auch nicht mehr Zug auf die Narbe.
Die Auswirkungen auf die Lippe sind sogar eher positiv; das Lippenrot kommt mehr zum Vorschein, da die Lippe durch den bei der Operation entstehenden Kontakt von Oberkiefer und Lippe nach vorne «angehoben» wird. Die Lippenform ändert sich somit bei der Operation eher zum «Normalen».

Ein Patient meinte in einem Videobericht, dass er den Kiefer bis etwa drei Monate nach der Operation nicht vollständig öffnen konnte. In diesem Fall würde es sich laut Herrn Müller wahrscheinlich um eine Verschiebung des Unterkiefers handeln, da der Unterkiefer für die Öffnung und Schliessung des Mundes verantwortlich ist. Bei der Verschiebung des Oberkiefers treten diese Probleme nicht auf, da beim Öffnen des Mundes nur der Unterkiefer bewegt wird.

Komplikationen wie Schmerzen, welche beispielsweise durch eine Schraube nahe an einem Zahn auftreten, sind möglich, jedoch selten. Auch kann es vorkommen, dass nebst dem planmässigen Bruch entlang des Schnitts weitere, spontan auftretende Bruchstellen entstehen können. Dieses Risiko lässt sich aber durch gezielte Massnahmen im Heilungsprozess (Schonkost, Vermeiden starker körperlicher Anstrengungen, etc.) verringern.

Das Risiko einer Beschädigung von Zähnen und Zahnwurzeln während der Operation ist sehr tief. Anhand der vorausgehenden Planung weiss man, wie lange die Zahnwurzeln sind. Der Schnitt erfolgt zudem oberhalb der Zahnwurzel, deren Lage man auch von Auge beurteilen kann. Sollte es allerdings dazu kommen, dass der Operateur mit der Säge zu tief abrutscht, würde die Zahnwurzel tatsächlich abgeschnitten oder beschädigt. In einem solchen Fall müsste man aber von einem klaren Operationsfehler sprechen.

In Büchern ist u. a. zu lesen, dass es nach einer Kieferumstellungsosteotomie bei Spaltpatienten vorkommen kann, dass sich der Kiefer aufgrund bestehender Narben (z. B. im Gaumen) wieder in Richtung seiner alten Position verschieben kann. Also dass ein Kiefer, der zum Beispiel 10 mm nach vorne gesetzt wurde, nach ein paar Jahren nur noch eine Verschiebung von 5 mm aufweist. Herr Müller ist sich nicht sicher, ob solche Aussagen wirklich glaubhaft sind. Eine derartige Verschiebung wäre abhängig davon, wie man die bestehenden Narben löst. Der Operateur sollte sich der Problematik bewusst sein und beim Durchtrennen bestehender Narben entsprechend beachten. Das Durchtrennen der Narbe an und für sich ist nicht vermeidbar, da sonst der Kiefer nicht bewegt werden kann. Das sollte aber kein Nachteil in Bezug auf die Heilung oder auf den Sprechklang haben. Das korrekte Lösen der Narbe ist eine technische Angelegenheit und Herausforderung beim Operieren, die der Operateur jedoch im Griff haben sollte.

Komplikationen lassen sich nicht gänzlich auszuschliessen. Durch eine sorgfältige Operationsplanung, exaktes Operieren und das Einhalten der postoperativen Empfehlungen des Arztes kann das Risiko möglicher Komplikationen aber gesenkt werden.[8]


5 – Risiken der Kieferumstellungsoperation [9]

Wie bei den meisten Eingriffen gibt es auch bei der Kieferumstellungsoperation gewisse Risiken, von denen man weiss, dass sie auftreten könnten. Diese haben unterschiedliche Ausmasse und ein unterschiedlich häufiges Auftreten.
Folgend werden einige negative Auswirkungen und Risiken aufgelistet:

5.1 – Blutverlust während der Operation

Im Interview mit Herrn Müller konnte ich herausfinden, dass der Blutverlust während der Operation etwa 2–3 dl beträgt und damit so gering ist, dass man keine Bluttransfusion geben muss.
Vorgängige Eigenblutspenden, welche eine Zeitlang «in Mode» waren, braucht es auch darum nicht. (Unabhängig davon ist diese Praxis heutzutage auch nicht mehr populär.)
Nach einem Blutverlust ist der Eisenbedarf erhöht, weshalb man den Patienten Eisen verschreiben kann. Eisen ist ein Mineralstoff, der hilft, das fehlende Blut im Körper zu ersetzen. Es wird in Form von Tabletten eingenommen und trägt dazu bei, dass man sich schneller wieder erholt.

5.2 – Postoperative Blutung

Nachblutungen im Anschluss an die Operation werden mit einer eher hohen Wahrscheinlichkeit auftreten. Jedoch ist es keine schlimme Auswirkung und mithilfe von Aufbisstupfern und Tamponaden meist gut zu behandeln.
Starke Blutungen, welche ein erneutes Operieren nötig machen würden, sind sehr selten.

5.3 – Schwellungen und Schmerzen

Die Schwellungen, die nach der Operation auftreten sind etwa mit denen nach Weisheitszahn-entfernungen zu vergleichen. Das Ausmass der Schwellungen ist jedoch nicht genau definierbar und kann variieren. Gleiches gilt für die Schmerzen nach der Operation.
Nach Operationen, welche nur den Oberkiefer betreffen, zeigen sich die Schwellungen vor allem im Bereich unter den Augen. (Dicke Hamsterbacken kommen eher nach Eingriffen am Unterkiefer vor.) Die Angaben über die Dauer von Schwellungen sind sehr unterschiedlich. Schwellungen, welche bis zu zwei Monate lang sichtbar sind, scheinen nicht selten zu sein.
Durch Kühlen, Magerquarkwickel und das Auftragen von Arnica-Creme kann man Schwellungen lindern.
Zur Behandlung von Schmerzen wird den Patienten Schmerztabletten verschrieben.
Ich habe bei meiner Recherche viele Patientenstimmen gehört, welche berichten, dass sie mit grösseren Schmerzen gerechnet hätten, als sie dann tatsächlich hatten.

5.4 – Kiefergelenkbeschwerden

Falls man vor der Operation bereits unter Kiefergelenkbeschwerden gelitten hat, können diese bei der Umstellung des Kiefers vorübergehend verstärkt werden.

5.5 – Nerven

Abhängig vom Vorgehen des Operateurs kann es auch zu Nervbeschädigungen kommen. Dieses Risiko besteht jedoch bei so gut wie jeder Operation und ist von der Sorgfalt und der Erfahrung des Operateurs abhängig. Glücklicherweise sind Nerven für den Operateur gut sichtbar. Man kann sie sich als dünnes Spaghetti oder dünnen, gelben Nylonfaden vorstellen.
Im Oberkiefer ist das Risiko, einen Nerv während der Operation zu verletzen, deutlich geringer als im Unterkiefer. Dies liegt daran, dass der Gefühlsnerv im Oberkiefer deutlich sichtbar unter dem Auge hervorkommt und ein gewisser Abstand zu den Schnitten vorhanden ist. Im Unterkiefer hingegen befindet sich der Nerv im Knochen, also dort, wo man die Durchtrennung des Knochens durchführen muss.
Sollte ein Nerv während der Operation beschädigt werden, kann der Chirurg diesen mit Fäden, so dünn wie ein Haar, unter dem Mikroskop wieder zusammennähen. Der «genähte» Nerv kann anschliessend wieder heilen.
Durch die Knochenverschiebung kann es besonders im Unterkiefer zu einer Nervdehnung, also einer Irritation kommen. Die daraufhin folgende Gefühlsstörung in der Unterlippe bildet sich normalerweise nach 2 bis 3 Monaten vollständig zurück.
Bei schlimmen Schädigungen der Nerven kann es auch zu Lähmungserscheinungen, Sensibilitätsausfällen oder Taubheit kommen.
Das Risiko bezüglich einer Beschädigung eines Gesichtsnervs ist demnach auch davon abhängig, an welcher Stelle im Kiefer operiert wird. Aus den oben genannten Gründen ist das Risiko bei einer Oberkiefervorverlagerungs-Osteotomie relativ gering.

5.6 – Infektionen

Da die Mundhöhle mit Keimen besiedelt ist, kann es nach der Operation zu einer Wundinfektion kommen.
Falls es zu einer Infektion kommt, hat dies für die Stabilität des Ober- und Unterkiefers keine langfristigen Auswirkungen. Es kommt lediglich zu einer Verzögerung der Wundheilung, welche etwa 1–2 Wochen umfasst.
Bei den Infektionen unterscheidet man zwischen lokalen Infekten und Infekten, bei denen Bakterien ins Blut gelangen und Symptome wie starkes Fieber und Schüttelfrost auftreten.
Bei einem lokalen Infekt handelt es sich um eine Entzündung, die sich lokal an einer Stelle befindet. Die Stelle schmerzt und es ist eine Schwellung vorhanden. Durch das Öffnen der Wunde an eben dieser Stelle, kann der Eiter ablaufen und die Entzündung abheilen. Beides trägt auch zu einer relativ raschen Linderung der Schmerzen bei.
Würden während (oder nach) der Operation Bakterien ins Blut gelangen, wären die Folgen gravierender. Der Patient würde in dem Fall an Beschwerden wie starkem Fieber, Schüttelfrost, etc. leiden. Dies ist jedoch sehr selten und sollte im Normalfall nicht passieren.
Das Risiko einer Wundinfektion nach der Operation kann durch eine intensive Mundhygiene deutlich vermindert werden.

5.7 – Veränderung der Sprachqualität nach der Operation

Es ist davon auszugehen, dass der Sprechklang vor allem in den ersten sechs Monaten nach der Operation etwas nasaler ist, also dass mehr Luft durch die Nase kommt.
Die Erfahrung zeigt aber, dass sich das in der Regel von allein wieder erholt und man etwa wieder dort hinkommt wie vor der Operation. Aber das dauert ein halbes Jahr, manchmal auch bis zu einem ganzen Jahr.
Sprachverbessernde Operationen sind demnach nur in Einzelfällen nötig.


6 – Zeitpunkt der Operation und Kostenübernahme

Die Operation sollte, solange nicht zwingend ein vorzeitiger Eingriff notwendig wäre, im 20. Lebensjahr durchgeführt werden. Dies hat verschiedene Gründe:

Um die Operation durchzuführen sollte das Wachstum im Mund abgeschlossen sein. Im Normalfall ist dieses im Alter von 16 bis 18 Jahren abgeschlossen. Um sicher zu sein, dass dies auch wirklich der Fall ist, sollte man die Operation erst mit 19 Jahren durchführen. Bei manchen Patienten kann es durchaus zu Verzögerungen im Wachstum kommen. Übersieht man diese, können sich nachträgliche, wachstumsbedingte Verschiebungen negativ auf das Operationsresultat auswirken.

Ein weiteres Argument für die Durchführung der Operation im 20. Lebensjahr ist der Faktor der psychischen Entwicklung. In vielen Fällen ist einem das eigene Aussehen in diesem Alter durchaus wichtiger, als es in höherem Alter der Fall wäre, die früh-erwachsenen Patienten neigen also eher dazu, eine Operation aus kosmetischen Gründen durchzuführen.
Die Operation in einem höheren Alter durchzuführen wäre ebenfalls möglich, jedoch kann es in diesem Fall zu Schwierigkeiten bezüglich der Kostenübernahme kommen.

Bis zum 20. Geburtstag übernimmt die IV sämtliche Kosten für Behandlungen, welche im Zusammenhang mit Geburtsgebrechen wie LKG stehen. (Ausnahme bei LKG: Die Kosten für die Logopädie werden nicht von der IV übernommen, sondern über die Krankenkasse abgerechnet.)

Operationen und Therapien, welche nach dem 20. Geburtstag vorgenommen werden, werden nicht mehr von der IV getragen und müssen über die Krankenkasse abgerechnet werden.
Damit die Krankenkasse die Operation übernimmt, muss ein entsprechendes Gesuch eingereicht werden. In diesem muss die Notwendigkeit der Operation dargelegt werden. Ebenso muss anhand eines ausführlichen Berichtes, Fotos und Röntgenbildern belegt werden, warum die Operation nicht früher stattfinden konnte. Dieses Gesuch wird dann von einem anderen Arzt (in der Regel vom Vertrauensarzt der Krankenkasse) geprüft und in den allermeisten Fällen auch gutgeheissen.

Muss man jedoch davon ausgehen, dass eine Operation nicht vor dem 20. Geburtstag ausgeführt wurde, weil der Patient den routinemässigen Kontrollen in der LKG-Sprechstunde ferngeblieben ist, kann eine Kostenübernahme von der Kasse auch abgelehnt werden. [10]
Die Kosten für die Operation (ca. 30000 Franken) müssten dann vom Patienten selbst getragen werden.

Da die Operation in der Regel kurz vor dem 20. Geburtstag durchgeführt wird, ist es auf jeden Fall ratsam, die Frage der Kostenübernahme sicherheitshalber nochmals mit der IV zu überprüfen und sicherzustellen, dass auch die Kosten für die nach der Operation erforderliche kieferorthopädische Behandlung gedeckt sind.


7 – Spitalaufenthalt und Genesungsphase [11]

Laut Herrn Dr. Müller ist die Planung der Operation für den Patienten wie folgt:
Am Tag der Operation reicht es, wenn der Patient am Morgen ins Spital eintritt, um dann – sofern der Eingriff am Vormittag stattfindet – gegen Mittag mit der Operation fertig zu sein.

Die Voraussetzung dafür ist ein Treffen im Voraus, sowohl mit dem Operateur als auch mit dem Narkosearzt.
Beim Treffen mit dem Operateur unterzeichnet der Patient den sogenannten «informed-consent», also eine Informierten-Einwilligung. Damit bezeugt er, dass er dem Eingriff zustimmt und vorab über die Risiken sowie die Art der Operation aufgeklärt worden ist.
Beim Treffen mit dem Narkosearzt wird geprüft, ob der Patient fit für die Narkose und die Operation ist. Bei dieser Gelegenheit wird dem Patienten in der Regel auch mitgeteilt, um welche Uhrzeit er ins Spital eintreten muss und bis wann er essen und trinken darf. Für die Operation muss der Patient nüchtern sein.

Für die Operation selbst sollte man etwa einen halben Tag einplanen. Der Eingriff an sich, also die sogenannte Schnitt-Naht-Zeit – damit ist die Zeit vom Beginn des Schneidens bis zum Zunähen des letzten Fadens gemeint – dauert etwa 150 Minuten. Dazu kommt noch je eine Stunde für das Einschlafen und Aufwachen bzw. das Ein- und Ausleiten der Narkose durch den Anästhesisten.

Nachdem der Patient aufgewacht ist, kommt er auf die Aufwachstation, wo nahe Verwandte ihn auch bereits besuchen dürfen.

Der Patient bleibt nach der Operation so lange im Spital, bis er für sich selbst sorgen kann. Der Spitalaufenthalt des von mir interviewten Patienten dauerte 4 Tage.

Bevor der Patient nachhause gelassen wird, «simuliert» man einen Tag und eine Nacht unter denselben Umständen wie zuhause: Der Patient läuft ein bisschen herum und nimmt die Medikamente ein, die er dann zuhause auch zu sich nehmen muss, um zu schauen, ob irgendwelche Probleme auftreten.

Diese Vorbereitungen machen eine Betreuung zuhause für den Patienten nicht notwendig. Dennoch meinte der von mir interviewte Patient, dass es angebracht wäre, wenn jemand da wäre, der einen zuhause unterstützen kann.

Nach der Operation muss der Patient mit Schwellungen rechnen. Durch Kühlen und mithilfe von Quarkwickeln und Crèmes kann die Schwellung gemindert werden.

Direkt nach der Operation werden die Lippen noch betäubt sein, weshalb sich die Schwellungen für den Patienten schlimmer anfühlen, als sie tatsächlich sind.

Der Patient muss sich nach der Operation etwa eine Woche, maximal zwei Wochen flüssig ernähren, bis er dann langsam auf weiche Nahrungsmittel umsteigen kann.

Es ist anzumerken, dass sich gerade in diesem Punkt die Aussagen von Ärzten und Patienten stark unterscheiden. Ich habe mehrfach Patientenstimmen gehört, die berichten, dass sie sich über vier Wochen nur flüssig ernährt haben (Vgl. Interview mit Patient).

Die flüssige Ernährung hilft unter anderem, die Naht zu schonen, da man die flüssige Nahrung mit einem Schluck Wasser säubern kann und man keine unangenehme oder gar schmerzhafte Säuberung im Bereich der Naht durchführen muss.

Zur Wundreinigung in der ersten Zeit nach der Operation wird einem vom Arzt eine spezielle Mundspülung verschrieben.

Die erste Nachkontrolle findet in der Regel zwischen fünf und acht Tagen nach der Operation statt.

Bei der ersten Nachkontrolle will der Arzt kontrollieren, wie es dem Patienten geht, wie die Heilung vorangeht, ob der Patient noch Schmerzmittel braucht, und man stellt sich die Frage, wann und wie der Patient wieder bereit für die Arbeit, die Schule oder sonstiges ist.

Der von mir interviewte Patient hätte die Arbeit nach 6 Wochen wieder aufnehmen können.
Da er jedoch noch über sichtbare Schwellungen im Gesicht klagte, ist er erst nach 8 Wochen wieder an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Wie lange man tatsächlich arbeitsunfähig ist, ist auch davon abhängig, welcher Arbeit man nachgeht. (Der von mir interviewte Patient machte zur Zeit der Operation eine Ausbildung als Koch.)

Die Wunde, also die Schleimhaut im Mundinnern, sollte nach etwa zwei bis drei Wochen geheilt sein. Beim Knochen kann man nach etwa drei Monaten anhand eines Röntgenbildes sehen, ob der Knochen wieder fest und somit ganz verheilt ist.

Bis zur vollständigen Heilung des Knochens, kann es sein, dass man beim Zusammenbeissen ein elastisches Gefühl hat und ein leichtes Federn im Knochen spürt. Grund dafür ist das Material der eingefügten Platten. Die Platten bestehen aus Titan, was ein – verglichen mit Stahl – eher weiches Material ist, das sich bis zu einer gewissen Dicke auch fast von Hand biegen lässt und darum dem Knochen etwas Bewegungsspielraum lässt, was für den Heilungsprozess besser ist, als wenn der Knochen starr fixiert wäre.

Nach etwa zwei bis drei Wochen ist es für den Patienten möglich, Sport zu betreiben, welcher lediglich den Kreislauf beansprucht, wie beispielsweise Joggen oder Rudern. Kontaktsportarten wie Basketball oder Fussball sollte der Patient frühestens nach 6 Wochen ausüben, da bei einer Kontaktsportart das Risiko für einen Schlag auf das Gesicht zu hoch ist.
Auch in diesem Punkt gehen die Meinungen von Arzt und Patient etwas auseinander … (Vgl. Interview Patient)

Nach etwa sechs Wochen findet die erste Sprechstunde beim Kieferorthopäden statt. Dabei legt der Kieferorthopäde oder die Kieferorthopädin die nächsten Schritte fest. Die kieferorthopädische Behandlung dient zur letzten Justierung der Zähne sowie zur Sicherung des Operationsergebnisses und wird so lange fortgesetzt, bis der Kieferorthopäde die Behandlung als abgeschlossen betrachtet. Es ist mit einer Nachbehandlung von mindestens 6 Monaten zu rechnen. Die genaue Dauer ist sehr individuell und sollte noch vor der Operation mit dem Kieferorthopäden besprochen werden. [12]

Dem Patienten wird empfohlen, die eingesetzten Platten nach etwa sechs bis zwölf Monaten nach der Operation herauszunehmen. Gründe dafür sind beispielsweise, dass der Patient die Platte unter der Haut spürt oder dass sogar ein Teil der Platte durch die Haut durchdringt. Wartet man zu lange, besteht die Gefahr, dass Knochen über die Platten wächst.
Das Herausnehmen der Platte ist ein verhältnismässig kleiner Eingriff, welcher ambulant in der Tagesklinik durchgeführt werden kann. Die nach der Operation auftretenden Schwellungen sollten nach ca. einer Woche zurückgehen.


8 – Mögliche Folgeoperationen

Nach der Heilung sind in manchen Fällen weitere chirurgische Eingriffe notwendig oder erwünscht. Welche Eingriffe das sein könnten, ist sehr individuell und kann in diesem Sinne nicht vorausgesagt werden. Der Bedarf einer weiteren Operation kann, muss aber nicht im Zusammenhang mit der Kieferumstellungsoperation stehen.

Mögliche Folgeoperationen sind im Kapitel Sekundäroperationen und Behandlungen im Detail beschrieben.

Am wahrscheinlichsten wären Narbenkorrekturen an der Lippe, Nasenstegkorrekturen (falls nach der Kieferumstellungsoperation nicht bereits eine Verbesserung er Nasenatmung erzielt werden konnte), sprachverbessernde Operationen oder sonstige kosmetische Nachbesserungen.


9 – Kostenübernahme nach Komplikationen oder bei Folgeoperationen

Sollte es während oder nach der Operation zu Komplikationen kommen, sodass eine weitere Operation notwendig wäre, würden die Kosten für die zusätzliche Operation demselben Kostenträger wie bei der vorausgehenden Operation zugeordnet werden.

Folgeoperationen im Zusammenhang mit LKG werden bis zum 20. Geburtstag von der IV übernommen.

Kosten für Operationen und Therapien, welche nach dem 20. Geburtstag vorgenommen werden, werden nicht mehr von der IV getragen und müssen über die Krankenkasse abgerechnet werden.

Damit die Krankenkasse die Operation oder Therapie übernimmt, muss bei der Kasse ein entsprechendes Gesuch eingereicht werden. In diesem muss die Notwendigkeit der Behandlung dargelegt werden. Dieses Gesuch wird von einem anderen Arzt (in der Regel vom Vertrauensarzt der Krankenkasse) geprüft und in den allermeisten Fällen auch gutgeheissen.


  1. Quelle: DocMedicus Zahnlexikon, «Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie | Umstellungsosteotomie der Kiefer»,
  2. Quelle Kapitel 1.1: DocMedicus Zahnlexikon, «Umstellungsosteotomie der Kiefer»
  3. Quelle: Info Medizin, «Dysgnathie OP – Ursachen, Beschwerden, Behandlung»
  4. Quelle Kapitel 1.3: «Dysgnathie – Dr. Dr. Kater in Bad Homburg | Dysgnathie Formen»
  5. Quelle Kapitel 5.1: «CLAPA – Cleft Lip and Palate Association UK», CLAPA
  6. Quellen Kapitel 5.2: DocMedicus Zahnlexikon, «Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie | Umstellungsosteotomie der Kiefer»; PD Dr. mult. Andreas A. Müller, Leitender Arzt/ Leiter Universitäres Zentrum für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und Gesichtsfehlbildungen, Universitätsspital Basel, Interview vom 20. September 2022.
  7. Quelle: Interview mit PD Dr. mult. Andreas A. Müller, 20 September 2022.
  8. Quelle: Interview mit PD Dr. mult. Andreas A. Müller, 20 September 2022.
  9. Quellen Kapitel 5: Prof. LINDORF Nürnberg: Risiken | Risiken, Gaumennahterweiterung, Korrektur von Fehlbissen, offener Biss, Dysgnathiechirurgie | Schönsee, Gallmersgarten, Saal an der Donau | Professor Lindorf & Partner»; PD Dr. mult. Andreas A. Müller, Interview.
  10. Quelle: Schweizer Ombudsstelle für Krankenkasse, Mündliche Auskunft einer Juristin, 2022.
  11. Quelle Kapitel 7: Interview mit PD Dr. mult. Andreas A. Müller; Interview mit Patient, 30. September 2022
  12. Quelle: «Cleft Talk Episode 06 – November 2019», CLAPA (blog)